"Welcome to Canada"

Es mag wenig sinnig sein, da ich wohl die gesamte Leserschaft mit meinem Nichtstun vergrault habe, doch auch gerade deswegen bin ich der Ansicht, es sei Zeit für ein bisschen Rekapitulation. Genauer möchte ich gerne meine Sammlung von Situationen teilen, welche kanadische Staatsbuerger dazu veranlasst haben, sich mit einem wissenden Laecheln (oder einem bloedsinnigen Grinsen) und der Bemerkung "Welcome to Canada!" nach mir umzudrehen.

- An einer Party auf dem Lande, kurz nachdem die zweite Couch ins lodernde Bonfire geworfen worden war.

- Als ich am Morgen nach einem weiteren Bonfire mit leidendem Blick meine zigfach von Riesenmoskitos verstochenen Beine herumzeigte.

- Nachdem ich D.s Fahrtechnik auf Eis und über Schneemaden mit anerkennenden Worten bedacht hatte.

- Einige Male, da ich mich im Restaurant über die Riesenportion Pommes zum Riesenveggieburger verzweifelte.

- Im Flugzeug, vom Sitznachbarn, nach der Landung in Toronto. (Irgendwie banal.)

- Am Tage meiner ersten Prellung an der Hüfte, weil ich auf dem eisigen Trottoir ausgegeglitten und nicht sehr galant seitlich zu liegen gekommen war.

- Als uns bei einer Ausfahrt auf dem Lande eine signalfarben gewandete Karavane von Skidoos kreuzte.

- Vom Nachbarn, der für mich gerade den frischen Geruch von Stinktieraktivität identifiziert und mir geraten hatte, noch ein paar Minuten mit dem Rausgehen zu warten.

- Bei den vielen Gelegenheiten, da ich in bereits erlangter Weisheit fragte: "What exactly do you mean by 'they live near Ottawa'?" und etwas wie: "You know, not far...a two hours' drive maybe?" geantwortet bekam.

vergessenes goldstück der poesie

Weiterer Winter

Waehrend ich unterdessen wieder bei den Asylsuchenden angelangt bin, wird die Stadt noch immer von eisigen Temperaturen und den Nachwehen eines epischen Busstreiks gegeisselt. Der novembrige Umzug erweist sich diesbezueglich als ueberaus vorteilhaft, da ich nun zu meinen beiden Arbeitsstellen in dreissig Minuten verschiedener Himmelsrichtungen promenieren kann. Natuerlich ausgestattet mit Skihosen, Moonboots und frisch erstandenen Faeustlingen. Zweimal die Woche kann ich sogar mittels Kanal und Schlittschuhen zur Arbeit...Ich verstehe meistens nicht, dass Leute den Winter nicht moegen, wenn er einem doch so schoen kalt und hell ins Gesicht blaest.
Im Weiteren hat sich gezeigt, dass man um die Anschaffung eines plastikenen Schuhtabletts in einem Haus, welches anscheinend ausschliesslich von Regeln des Feuerschutzes beherrscht wird, nicht herum kommt. Aber man haette es doch wissen koennen: wo plastikfreie Weihnachtsbaeume verboten sind, da koennen keine Schuhe auf dem Flur stehen gelassen werden ("If there's a fire and people fall over your boots, they might sue you!"). Immerhin, die neue Sicherung fuer den explodierten Backofen war gratis.

vor sich hin

Manchmal breitet sich das Leben einfach so vor einem aus, und das einzige was man tun muss, ist sich reinlegen. Dann trägt es einen dahin, schön ziellos, mit ein paar heftigen Schlaglöchern, aber irgendwie kommt es auf die nicht an.

Vielleicht kann man Zufriedenheit dennoch geniessen. Vielleicht muss man sie nicht als Mittelweg hinnehmen. Vielleicht kann man sich an kleinere Wellenfrequenzen gewöhnen. Vielleicht werde ich häuslich in der Fremde.

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wegziehen

Nach einem ungeplanten Wochenende im Hotel in Smiths Falls, mit Regentagen und menschenleeren Fluren, sowie einer Geisterstadt des Abends, ein brüsker Übergang zum Umzug. Wegen unserer Ungeduld begann die Aktion am Sonntag um 19 Uhr, und um Mitternacht war noch nicht alles getan. Als am Montag einmal alles drin war, wurde die Malerin verschoben und bis Donnerstag mussten wir im Chaos hausen, nichts hat seinen Platz und mein Gehirn verwirrt sich gleich mit. Freitags bekamen die geerbten Möbel dann endlich ihre Stellung, und auch mein Kopf konnte wieder ruhen, aber anscheinend war es doch schon ein bisschen viel gewesen, und die letzten zwei Tage verbrachte ich mit jeweils zwei Stunden Unterbruch im Bett.
Ich weiss nicht ob ich es gut finden soll, dass einen das Gehirn vor emotionalen Schocks bewahren will und diesen dumpfen Schutzwall aufbaut, durch den sich alles ein bisschen wattig anfühlt, oder ob einen dies nur dazu verleitet sich zuviel zuzutrauen und einen dann wieder krank macht. Aber irgendwie habe ich auch nie gelernt zu wissen wann es zuviel ist bevor ich bettlägerig werde.

Zudem war da der erste Schnee, der anfang Woche fiel, und der unheimlich schön und immer ein bisschen melancholisch anzusehen ist, insbesondere jetzt aber, da wir auf die Bäume runtersehen.

Und auch, wann wurde es normal mit dem Freund zusammen zuziehen? Wieso gab es keine Opposition, nicht mal wo ich sie erwartet hätte?
Irgendwie fühle ich mich gleichzeitig alt und neu, und sehr weit weg von zuhause.

Von Seen und Strassen

Kanada-mit-Papa-068
Für zwei Wochen durfte ich jetzt ein bisschen erkunden, was man von Kanada gemeinhin erwartet. Das Abenteuer bestritten wir zu zweit, der Papa und ich. Ganze 2500 Kilometer Fahrt, wie mit dem Lineal gezogene Highways hauptsächlich, staubig-kurvige Kiesstrassen ansonsten. Die ersten Tage verbrachten wir auf Rudy Island, betreut von Greg, der uns fleissig mit Bier und Bootstouren versorgte, und ne Menge zu sagen hat zum Provincial Park und seinen Bewohnern. Danach ging es in etwa einer Woche um die Georgian Bay herum, mit Indianerreservaten, Frühstück in truck stops, Campieren, Fische braten, Fähre fahren, in Seen schwimmen, und Bier suchen/trinken. Zum Ende gabs noch die Falls, aber die gehen ja ziemlich unter in dem ganzen Getummel, und die Idee mit der Ketchupbeleuchtung sagte uns auch nicht gerade eben zu. Dann musste ich auch noch mit dem Kellner streiten und man verkaufte mir gefälschte Marlboros. Zurück in Ottawa gabs dann zum letzten Abend nochmals ein Country Konzert, das letzte von drei von D. bestrittenen, die wir in den zwei Wochen sahen. Der Vater hatte sich unterdessen einen Cowboyhut zugelegt, der ihm an diesem Abend Bier, ein Shotglas, eine CD und massig Komplimente einbrachte. Der Abschied war traurig, und alles schien zu kurz, ebenso dieser Abriss, man sollte einfach ein bisschen das Bild beschauen, und sich denken, ooooh, ich muss sie bald besuchen gehen. (Rudy Island, links im Bild)

Asylblues

Beim Studieren vergisst man gelegentlich ein bisschen wie das so ist, das Leben. Wen dieser Realitätsverlust bedrückt, der soll von meinem wertvollen Rat profitieren, und sich einmal ein bisschen im Asylsuchendenmilieu aufhalten. Einige Geschichten hören, und die Bilder, die man täglich um halb acht im Fernsehen vorbeiflackern sieht, vom Gegenüber beschrieben bekommen. Mit und ohne Tränen, mit Bitterkeit, Sachlichkeit, Wut, oder Schicksalsergebenheit. Man darf gerne die humanitäre Tradition unseres Bundes skeptisch betrachten, sich grundsätzliche Fragen stellen zur Aufstellung und Durchsetzung von Menschenrechten, und auch dazu, ob ungleiche ökonomische Stellungen als Grund für eine Massenemigration in unsere Richtung legitim sein sollen. Die Essays, die ich dafür schrieb, und die Recherchen, die ihnen vorangingen, erscheinen zuletzt einfach peinlich, wenn ich einem Kind ein Pflaster auf das verbombte Schienbein kleben muss.

Und plötzlich eine Lebensaufgabe.

Fertig mit dem Lotterleben, vorbei die Perspektivenlosigkeit. Seit gestern gibt's Milena.

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